Interview von Stefan Thull mit Dr. Josef Moch
Interview des Modeexperten Stefan Thull mit dem Geschäftsführer von Moch Figuren, Dr. Josef Moch

Schaufensterfiguren von Moch in den 50er Jahren
Schaufensterfiguren
„WIR SICHERN WERTE“
Interview mit Dr. Josef Moch zum 100sten Firmenjubiläum
Sie feiern in diesen Tagen den 100sten Geburtstag Ihrer Firma.
100 Jahre Schaufensterfiguren spiegeln ja auch 100 Jahre Werbung und Einzelhandel wieder. Haben Schaufensterfiguren heute einen anderen Auftrag als vor 50 oder 100 Jahren?
Selbstverständlich! Das macht ja das Thema der Schaufensterfiguren so reizvoll. Am Anfang präsentierte sie Mode, dann war ihre Aufgabe Stimmung zu erzeugen. Heute steht das Thema Differenzierung im Vordergrund. Mode wird zunehmend komplexer. Jede Mode-Marke braucht einen eigenen Stil in der Darstellung. Dabei geben feinste soziale und emotionale Unterschiede den Ton an. In diesen Fällen ist die zeitgemäße Schaufensterfigur in all ihrer Vielfalt gefragt.
Wie sieht die Schaufensterfigur in 100 Jahren aus? Braucht
der Handel dann noch welche?
Solange Mode als Kulturgut und nicht nur unter einem
funktionalen Aspekt gesehen wird, muss sie mit Methoden
des jeweiligen Zeitgefühls präsentiert werden. Hier kann
die Figur hervorragende Arbeit leisten. Sie wird so aussehen,
wie der Modekunde in all seinen Facetten aussehen wird.
Alle Merkmale, die einen zeitgenössischen Menschen prägen,
sind Vorbild für die Figuren. Das war schon immer so
und wird auch so bleiben. Welche Merkmale künftig den
modisch orientierten Menschen prägen werden, darüber ist
es müßig zu sprechen. Wir leben in der Jetztzeit und können uns
nur vage Prognosen auf das Verhalten der Zukunft erlauben.
Jüngst wurde durch in den Medien die Themen Schlankheitswahn,
Magersucht und die dadurch entstehenden Risiken
thematisiert. Zwei spanische Modekonzerne spielten
dabei nicht ganz uneigennützig ins Licht gerückt. Reagieren
Sie darauf, indem Sie jetzt statt Größe 34/36 jetzt 38 anbieten?
Die beiden erwähnten Modevertriebsunternehmen sind
wohl in eine Konfliktsituation geraten, weil sie Jahre lang zu
schlanke Schaufensterfiguren eingesetzt haben. Wir können
uns mit diesem Thema identifizieren, zumal da das Ganze
zu einer wohl inszenierten Medienkampagne ausartet. Natürlich
setzt Moch-Figuren auch sehr schlanke Figuren ein,
und zwar dort, wo auch der Käufer schlank ist. Das ist im
Bereich der jungen Mode und im exquisiten Genre. Ein Outfit
von s.Oliver oder Kostüme von Hauber oder Toni Gard
passen nicht mit molligen Figuren. Für alle anderen Präsentationen
sind Moch-Figuren ganz normal proportioniert.
Die Herstellung der Schaufensterfiguren ist heute sicherlich
anders als vor 100 Jahren! Wo liegt der Unterschied?
Im Material. Zur Zeit der Firmengründung waren weibliche
Figuren aus Wachs. Die goss man sehr aufwändig in Negativformen
aus Gips. Herrenmodelle bestanden aus Pappmaché,
also einer mit Kleber gehärtetem Papiermasse. Die abnehmbaren
Köpfe und Hände bestanden aus einem mit Leim
verstärkten Kreide-Gips-Werkstoff. Durch handwerkliches
Geschick, Erfindungsreichtum und ausgetüftelte Zusätze
wurden die Figuren immer leichter und gleichzeitig robuster.
Die große Wende brachte Ende der 50er Jahre der Einsatz
vom Fiberglas-Kunststoffen.
Seither sind über 50 Jahre vergangen…
… und die Entwicklung ist noch lange nicht vorbei. Kunststoffe
und Produktionsverfahren werden weiterhin optimiert,
um die Figurenmodelle noch leichter und robuster zu ma-
chen. Auch der Produktionsprozess hat sich gravierend verändert.
Früher begleitete der Figurenbauer die Fertigung
bis zum finalen Pinselstrich und entwickelte eine fast persönliche
Beziehung zu jeder Figur. Vor 100 Jahren kam es
nicht auf Masse an. Heute ist der Produktionsprozess durchstrukturierter
und lässt für individuelle Wünsche weniger
Spielraum.
Aber nicht nur der Figurenbauer entwickelte eine besondere
Beziehung zu seinem Werk.
Stimmt, auch Kunde und Dekorateur hatten vor 100 Jahren
eine ganz andere Beziehung zu ihrer Schaufensterfigur. Sie wurde
liebevoll gepflegt, immer wieder neu aufgearbeitet und renoviert.
Sie war eben ein teures Stück. Heute sind Figuren Massenprodukte.
Obwohl sie viel robuster sind als ihre Vorläufer
werden sie für eine viel kürzere Gebrauchsdauer konzipiert.
Beim Coloring der Figuren muss auf viele Dinge wie Farbabrieb,
Schlagfestigkeit und ähnliches geachtet werden. Welche
Materialien verwenden Sie?
Design ist eine Sache, Qualität eine andere. Deshalb arbeiten
wir eng mit den anwendungstechnischen Abteilungen der
Kunststoff- und Lackhersteller zusammen. Wir vertrauen
ausschließlich auf innovative Zweikomponenten-Systeme. Im
Detail sind dies 2K Acryl- und Polyurethan-Systeme. Die halten
selbst härteste Stöße aus, ohne Kratzer zu bekommen.
Und: Sie können mit Seifenwasser und bei starkem Schmutz
sogar mit Lackverdünner gereinigt werden.
Lacke waren früher oft gesundheitsschädlich.
Die von uns heute eingesetzten Lacke und Lösemittel sind
nicht mehr mit Schadstoffen belastet und auch nicht mehr feuergefährlich.
Das ist ein bedeutender technischer Fortschritt.
In vielen Bereichen des täglichen Lebens ist von der Nanotechnologie
die Rede? Was halten Sie als Chemiker davon?
Als Chemiker kann ich sagen, dass Nanotechnologie eine Zukunftstechnologie
ist. Wobei die Betonung auf Zukunft liegt.
Wenn ein chinesischer Lackhersteller bereits heute damit
wirbt, ist das nicht mehr als eine Marketingbehauptung. Europäische
Lackhersteller sagen unisono, dass es für diese Anwendung
noch keine Nanolacke gibt. Wir arbeiten zwar an
diesem Thema, aber es besteht derzeit kein Grund zur Eile.
Unsere Lacke bestehen aus einem Zweikomponenten PUSystem
und sind auf einen sehr hohen technologischen und
umweltfreundlichen Standard – das müssen die so genannten
Nanolacke aus China erst einmal beweisen.
Die Modebranche lebt von Trends. Trends können verschiedene
Ursachen, Quellen und Einflüsse haben. Woher entstehen
Trends für Ihre Figuren? Wer bestimmt, ob sie Perücken
oder eine modellierte Haarpracht tragen?
„Nichts ist so trendy wie der Trend“ – seitdem diese Aussage
als Motor der Mode gilt, steht auch bei uns die Trendsuche
ganz oben. Ständig nach neuen Trends zu fahnden macht
unsere Arbeit schließlich auch so reizvoll. Eine ausgeprägte
Trendforschung, wie man sie bei großen Marken findet, ist
für unser Unternehmen aber nicht angemessen. Wir suchen
Trends da, wo ist entstehen: im sozialen Raum. Junge Mode
wird zum Beispiel dadurch geprägt, was nachts auf den Straßen
der Städte passiert. Wir finden dies in Filmen und Magazinen
wieder, und hier setzt auch die Werbung an. Entsprechendes
gilt für den Business-Look, Party-Look, Outdoor
und Freizeit. Körperhaltungen und Gesichter entsprechender
Werbung sind oft unser Vorbild.
Kann man das denn eins zu eins auf den Figurentrend übertragen?
Natürlich nicht. Naturalistisches contra Abstraktes, Figuren
mit und ohne Kopf, mit oder ohne Make-up – nicht nur Vorbildern
geben den Trend vor. Als Basis für zukunftsträchtige
Prognosen muss im Figurenbereich auch häufig die Vision
eines Gurus herhalten. Innovatives entwickelt sich oft aus dem
Bauch heraus. Wenn ein neues Design gefällt, ist es für einen
Modetyp verbindlich.
Sie führen die älteste, noch existierende Firma zur Herstellung
von Schaufensterfiguren in Europa. Was sind Ihrer Meinung
nach die wesentlichen Dinge, die Sie von Ihren Mitbewerbern
unterscheiden?
Es wäre zu einfach, wenn wir auf das eigentliche Unterscheidungsmerkmal
verweisen wollten, nämlich unsere lange Tradition.
Tradition allein ist in der Werbung nicht gefragt. Wenn
aber Tradition mit Beständigkeit einhergeht, ist das etwas
ganz anderes. Beständigkeit ist ein Wert für sich. Unsere Kunden
können sich auf uns verlassen: Wir sind nicht heute hier
und morgen da.
In Ihrem Unternehmen arbeitet ein optimal ausgestattetes
Entwicklungsteam. Das ist ungewöhnlich für einen deutschen
Hersteller.
Und genau darauf legen wir größten Wert. Als eingespieltes
Team ermöglichen wir neue Produktpaletten in einem außerordentlich
kurzen Zeitraum. Das Design wird an unserem
Standort in Köln entwickelt und zwar mit demselben Gefühl
und den Einflüssen, wie sie auch bei unseren Auftraggebern
prägend sind. Der enge Kundenkontakt fördert die Kreativität
unserer Bildhauer und Designer.
Produziert wird aber in Taiwan… .
Ein Teil der Massenproduktion erfolgt in einem Betrieb in
Taiwan, mit dem wir vor Jahren ein Joint Venture Projekt
gestartet haben. Dieser liefert in der Hauptsache Figurenrohlinge.
Die Teilfiguren werden dann in Köln fertig gestellt.
Dort entstehen auch die Gesichter, die Lackierung und in jedem
Fall das Make-up. Die Arbeit hier vor Ort garantiert einen
hohen Standard.
Eine Frage zum Schluss: Auf was sind Sie besonders stolz?
Auf unser Zeitgespür, unsere designerischen Innovationen
und darauf, dass wir hohe technische Standards beherrschen.
Und ich kann sagen: Das engagierte Team fühlt heute
denselben Pioniergeist, den auch Franz Moch vor 100
Jahren beflügelte.
Das Interview mit Dr. Josef Moch führte Stefan Thull.
Stefan Thull ist Modeexperte, Buchautor, Kunstsammler. Er lebt in Köln.